ROLF ZIMMERMANN 14.1.-11.3.2011

                  Abeitnehmerkammer Bremen

                in Kooperation Galerie Voegtle

       Vernissage Einleitung Prof. Peter Chametzky



Abb.1: Rolf Zimmermann, Ein jüdisches kind, Öl auf Leinwand, 130x170 cm, 1990





Galerie Raimund Voegtle Karlsruhe in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer in Bremen sowie Projektgruppe " Bilder des Krieges " in der Veranstaltungsreihe zum " Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in Kooperation mit: Evangelisches Bildungswerk, GEW und Heinrich Böll Stiftung




Abb. 2: Kriegsfoto des schwarzen SS-Manns Franz Zimmermann ca. 1941-1942 in Osteuropa, abgebildet unbekannte Soldaten



Abb. 3: Rolf Zimmermann, Ein jüdisches Kind, Zeichnung auf Papier, 65x50 cm, 1989

Copyright Abb. oben links YVO Institute New York (Abbildung nur für Forschungszwecke)

Copyright Abb. oben rechts Rolf Zimmermann Karlsruhe


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Rolf Zimmermanns Bilderzyklus - In Polen 1942 -

Eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem deutschen Vermächtnis aus

dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte

Vortrag Dr. Raimund Voegtle , Arbeitnehmerkammer Bremen am 13.1.2011

in der Veranstaltungsreihe: Bilder des Krieges, Tag des Gedenkens an die Opfer

des Nationalsozialismus am 27. Januar




Anlässlich der Entscheidung des Yad Vashem Art Comittee im Oktober 2010 das Ölgemälde und die Zeichnung – Ein jüdisches Kind – aus dem Polenzyklus in die Sammlung des Museums in Jerusalem aufzunehmen, antwortet der 1948 nach dem Krieg geborene Künstler Rolf Zimmermann in seinem Brief an Yad Vashem vom 27.10.2010 unter anderem:

...“Diese Bilder entstanden aus meiner Entscheidung ethische und moralische Bestürzung sichtbar zu machen. Es sind Bilder des Wahnsinns und des Schmerzes, wie Sue Fishkoff es in dem Magazin von The Jerusalem Post ( Pictures from the Attic ) am 22. August 1997 schreibt. Mein Problem ist es mit einem Kriegsverbrecher so nahe verwandt zu sein...“

In einem 1992 also kurz nach der Fertigstellung des Bilderzyklus (In Polen 1942) geführten Gespräch gibt Rolf Zimmermann zur Entstehung des Bilderzyklus folgendes zu Protokoll ( 1 ):

Mein Zyklus ist eine Sache, die mich schon lange beschäftigt. Der Anlaß waren oft die alten Fotos meines Onkels Franz Zimmermann, der im 2. Weltkrieg in Russland seit 1944 verschollen ist.

Wie es sich damit verhalten hat wußte ich aus Erzählungen meines Vaters, meiner Mutter und anderer Verwandter.

Das alles, was ich wußte war sehr grauenhaft. So wußte ich, daß mein Onkel Franz Zimmermann, der jüngere Bruder meines Vaters, bei der schwarzen SS war; außerdem wußte ich Genaueres von meiner Mutter: „ Franz war an der Ermordung von Zivilisten und Juden beteiligt...das wäre durchgesickert...er selbst hätte dies einmal geäußert.“

Mein Vater war im Dritten Reich wegen staatsfeindlicher Äußerungen für kurze Zeit in Haft genommen worden. Das war schon 1933, gleich nach der Machtergreifung. Er kam glücklicherweise wieder frei.

Als er erst zum Schluß des Krieges zur Wehrmacht eingezogen wurde, dessertierte er weil er für dieses Staatssystem nicht kämpfen wollte.

Da er selbst Widerstand geleistet hatte, klärte er mich schon früh über meinen Onkel Franz Z. Auf. Mein Vater starb schon 1962.

Meiner Mutter und mir sind folgende Worte von ihm in Erinnerung geblieben:

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Vielleicht war es besser, daß Franz nicht mehr kam. Er gehörte Verbänden an, die nach dem Krieg mit schweren Freiheitsstrafen, wenn nicht sogar mit Schlimmerem zu rechnen hatten.“ So weit zunächst Rolf Zimmermann.


Als 10 jähriges Kind fand er 1958 auf dem Speicher des elterlichen Hauses in Säckingen eine Schachtel mit einem Restbestand von SW-Fotografien. „Kriegserinnerungen“ seines 1938 in die SS eingetretenen Onkels Franz Zimmermann. Wie Rolf Zimmermann heute weiß, hat sein Vater 1946 nach der Besetzung des Elternhauses durch französische Soldaten einige Fotos seines Bruders aus dem Krieg verbrannt, da er befürchtete, daß seine Familie durch die Fotografien ebenfalls belastet werden könnte. Die noch in der Schachtel verbliebenen Fotografien zeigen den Onkel Rolf Zimmermanns als Offizier in SS-Uniform während der deutschen Besatzungsherrschaft in Polen und Osteuropa 1941-43.


Deutlich sind dem heute 62-jährigen Künstler noch zwei Aufnahmen mit verstümmelten Körpern vor Augen, die ihn als 10 jährigen Jungen so erschütterten. Es dauerte elf Jahre bis das als Kind erlittene Trauma 1969 von dem dann 21-jährigen Kunstakademiestudenten erstmalig wieder aufgegriffen wurde. Er thematisierte diese beunruhigende verstörende Seite in seinem Leben mit der Radierung „Feldgendarmeriemantel mit Pistole“. 1969, ein Jahr später malt der angehende Künstler das Ölgemälde „Kissen mit Pistole“.


1969 lagerte der Künstler die Fotografien bei seiner Mutter, doch blieben sie immer bedrückend in seiner Erinnerung haften, wie er sagt. 1984 nahm Rolf Zimmermann die Fotografien wieder in seinen Besitz nach Karlsruhe.


Zitat Rolf Zimmermann ( 1 ): „ Nun hatte ich die Fotos, die sozusagen als einziges von ihm ( Franz Zimmermann ) übriggeblieben sind, oft Freunden und Bekannten gezeigt, um vielleicht Näheres zu erfahren.

Ein ehemaliger Offizier der deutschen Wehrmacht, der in Rußland während des 2. Weltkriegs im Einsatz war, machte mich auf folgendes aufmerksam: „ Auf diesem Foto, auf dem rechts ein Mann mit einer Axt abgebildet ist ( nach Aussagen der Mutter der Onkel Franz Zimmermann )... dieser Mann mit der Axt geht in die Scheune und schlägt einen Juden tot...“.

Dieses hat mich entsetzt und schockiert. Ich habe die auf dem Foto abgebildete Handlung erst nicht erkannt. Links auf dem Foto steht ein Feldpolizist mit einer Peitsche und bewacht den Eingang. Nun wurde mir das abgebildete Geschehen auf dem Foto klar. Einige Fotos hatten den ähnlichen Inhalt.“


Ab 1986 enstehen die für den Polenzyklus wichtigen Vorläuferbilder „Zwei maskierte Männer“ und 1987/88 das Ölbild „Maskierte und Puppe“ . 1983 lernt Rolf Zimmermann den Kunsthistoriker Peter Chametzky in New York kennen, der seine künstlerisch Arbeit kunstgeschichtlich begleitet. ( 2 ) Er zeigt ihm 1988 die

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Fotografien seines Onkels.


Die durch den Künstler durchgeführten Recherchen über die Fotografien von Franz Zimmermann ergaben im Ergebnis nach Auskunft des international geachteten Militärhistorikers Prof. Manfred Messerschmidt, Freiburg ( 3 ), daß Franz Zimmermann Angehöriger von „Sondertruppen“ war, und daß er „der geheimen Feldgendarmerie“ angehörte, die zum Heer gehörte. Er war unter anderem im Einsatz in einem Feldgendarmerie-Trupp 235 in Polen. Aus oben angeführtem ergibt sich die Zugehörigkeit von Franz Zimmermann zu der „Gruppe der höheren SS und Polizeiführer“. Der Militärhistoriker Prof. Manfred Messerschmidt geht anhand des gesichteten Materials auch davon aus, daß Franz Zimmermann der „Einsatzgruppe D“ angehörte, die auch im Raum Vinnitsa (Ukraine ) operierte.


Damit war der Deutsche Franz Zimmermann Teil eines verbrecherischen Weltanschauungskrieges im Osten dessen ideologisch verformtes Feindbild das deutsche „Recht“ zur Eroberung beanspruchte, gestützt auf den Anspruch der überlegenen „Rasse“ auf „Verdrängung oder Vernichtung“ der „Minderwertigen“ ( 3 ).


Unter dem Eindruck dieser belastenden Familiengeschichte enstehen auf der Grundlage der og. Fotografien von August 1989 bis Juni 1990 zehn Bleistiftzeichnungen auf Papier 65x50 cm als Vorarbeiten zu den Ölbildern des Polenzyklus. Von März 1990 bis Februar 1992 vollendet Rolf Zimmermann mit zehn großformatigen Ölgemälden 130x170 cm den hier in der Arbeitnehmerkammer Bremen teilweise ausgestellten Bilderzyklus - In Polen 1942 .


Es gibt trotz vorliegender Todeserklärung von 1951 berechtigte Zweifel ob Franz Zimmermann im Krieg umgekommen ist. Die im Besitz des Künstlers sich befindenden noch verbliebenen Fotografien aus dem Nachlass von Franz Zimmermann lassen nicht erkennen, ob er getötet wurde noch ob er selbst getötet hat.


Nach Beendigung der Malarbeit über den Polenzyklus sorgte 1997 die Entdeckung der Veröffentlichung des Fotos „Massenexekution russischer Juden durch Einsatzgruppen 1942“ in der deutschen Zeitschrift Der Spiegel ( Heft 11 ) für weitere Unruhe im Leben Rolf Zimmermanns. Das Foto stammt aus dem Archiv des Yvo Institut für jüdische Forschung in New York und wurde nach Auskunft des Yvo Instituts in Vinnitsa ( Ukraine ) aufgenommen, was auch Simon Wiesenthal laut Auskunft des Yad Vashem bestätigt. Der in dem Spiegelartikel abgebildete Mann mit den Offiziersstiefeln, der auf diesem Foto einen Mann am Massengrab mit der Pistole ermordet ist namentlich weder dem Yvo Institut noch Simon Wiesenthal bekannt. Zahlreiche Vergleiche des Bildes des unbekannten Mörders mit den oben genannten Fotografien von Franz Zimmermann aus der NS-Zeit in Osteuropa legen nahe, daß es sich bei dem Mörder in Offiziersstiefeln um den Onkel Rolf Zimmermanns Franz Zimmermann handeln könnte.

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Bibliografie


( 1 ) Ausstellungskatalog Rolf Zimmermann -In Polen 1942- Morat- Institut, Freiburg 1992 , S.47


( 2 ) Peter Chametzky, Rolf Zimmermanns Bilder aus Polen, Ein deutsches Vermächtnis, in Ausstellungskatalog Rolf Zimmermann- In Polen 1942, Morat-Institut, Freiburg 1992, S.5-19.

      • Peter Chametzky, Witnessing Tragedy, Looking at Risk, Rolf Zimmermann Revisited ( The Massachusetts Review, Vol. 38, No 4, Winter 1997-98 )

      • Peter Chametzky, Objekts as History in Twentieth Century German Art: Beckmann to Beuys, 2010, p.249 n 84, eds University of California Press


( 3 )Manfred Messerschmidt, Der Soldat im Eroberungskrieg im Osten, Ausstellungskatalog Rolf Zimmermann – In Polen 1942, Morat-Institut, Freiburg 1992, S.23-25, Anhang



                Rolf Zimmermann Fotoalbum Polenzyklus Galerie Voegtle 2009




Eike Hemmer, Projektgruppe „Bilder des Krieges“ Gedenken an die NS-Verbrechen in der Generation der Enkel Redebeitrag zur Eröffnung der Ausstellung „In Polen 1942“ – Bilderzyklus von Rolf Zimmermann in der Arbeitnehmerkammer Bremen am 11. Januar 2011


Die Bilder dieser Ausstellung sind das Ergebnis einer quälenden Auseinandersetzung mit den furchtbaren Verbrechen der Nazizeit. Der Maler Rolf Zimmermann, Jahrgang 1948, gehört wie ich zur Generation der im Krieg oder kurz danach Geborenen. Mein Vater brachte es in der Waffen-SS bis zum Rang eines Hauptsturmführers, der in Frankreich und später im Osten eingesetzt war. In meiner Familie wurde vom Krieg erzählt. Einmal- ich muss 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein - schenkte mir mein Vater einen Ledergürtel. Der Gürtel wies dunkle Verfärbungen auf. Mein Vater erwähnte, dass der Gürtel einem getöteten russischen Soldaten gehört habe. Die dunkle Farbe war getrocknetes Blut. Der Soldat muss blutjung gewesen sein, denn der Gürtel passte nur einem Jugendlichen. Was empfand mein Vater dabei? Was war die verborgene Absicht hinter diesem „Geschenk“? Ich habe es nicht erfahren. Das wirkliche Grauen wurde nie angesprochen, höchstens mal mit der Bemerkung gestreift: „Das mit den Juden, das war ein Fehler von Hitler.“ Viele von uns traf es wie ein Schock, als im Auschwitz-Prozess und im Prozess gegen den Organisator der Endlösung, Adolf Eichmann, das System der nationalsozialistischen Vernichtungslager in seiner vollen, ungeheuerlichen Dimension sichtbar wurde.

Verlust des kindlichen Urvertrauens

Ein ehemaliger Angehöriger der rebellischen Generation der 1960/70er Jahre, Gerd Koenen, beschreibt diese Erschütterung als ein „Gefühl von Taubheit, Horror und Scham, das jegliches lebendiges Nachempfinden unmöglich machte. Dies alles war, ob wir es wollten, oder nicht, unsere Geschichte. Sie bedeutete eine fundamentale Erschütterung der unseres Bewusstseins…, nämlich den Verlust eines kindlichen Urvertrauens in die Gesellschaft.“ (Gerd Koenen, Das Rote Jahrzehnt S.96)

Rolf Zimmermann versucht das Grauen hinter den scheinbar harmlosen Fotos seines Onkels sichtbar zu machen, sie gleichsam zu dechriffieren. Eine ähnliche Aufgabe unternehmen die Wissenschaftlerin Frau Bopp in der Veranstaltung „Fremde im Visier“ und die Veranstaltung mit Diethelm Knauf „Auch die Infanterie kommt gut voran“. Professor Vinnai widmet sich beim Gesprächsabend „Lange Schatten“ den Generationen übergreifenden Auswirkungen von Kriegen und Gewaltregimen auf die Familiengeschichte.

„Davon haben wir nichts gewusst“

Nachdem eine wissenschaftliche Aufklärung über die Verbrechen des NS-Regimes in der Bundesrepublik lange Zeit erschwert wurde, haben seit Ende 1970 jüngere Historiker und zahlreiche Geschichtsinitiativen Schritt für Schritt die Beteiligung aller deutschen Institutionen, und vor allem der so genannten Eliten am systematischen Mord an Juden, Sinti und Roma, an der Tötung von behinderten Menschen, an der Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten aufgedeckt.

Die deutsche Bevölkerung hat diese Ungeheuerlichkeiten geahnt, teilweise direkt profitiert von der Enteignung, Deportation und dem Mord an ihren jüdischen Nachbarn. Die Finanzämter haben akribisch Buch geführt über die Erlöse aus den Massenversteigerungen jüdischen Eigentums. Jeder, der etwas kaufte, bekam eine Quittung, auf der oft sogar stand:“ aus dem Besitz des Juden/ der Jüdin soundso“. (vgl. Wolfgang Dreßen, Aktion 3. Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn) Die im Nachkriegsdeutschland oft gehörte Behauptung: Davon haben wir nichts gewusst, erwies sich immer offensichtlicher als Schutzbehauptung. Ich habe als Heranwachsender auch von den Vorstellungen gehört, die in der SS umgingen. Die Offiziere sahen sich als Besitzer riesiger Güter im besetzten Osten, die unterworfene einheimische Bevölkerung in einer Art Sklavenstatus als unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir.

Diese Vorstellungen sind unter dem Namen „Generalplan Ost“ von maßgeblichen deutschen Wissenschaftlern mit entwickelt worden. Der Generalplan Ost sah vor, fünf Millionen Deutsche im annektierten Polen und im Westen der zu erobernden Sowjetunion anzusiedeln. Millionen slawischer und jüdischer Bewohner sollten versklavt, vertrieben oder ermordet werden.

Ungesühnte Taten

Der größte Teil der in die Verbrechen aktiv eingebundenen deutschen Eliten kam in der jungen Bundesrepublik wieder in Amt und Würden.

Greifen wir nur ein Beispiel aus den vielen dokumentierten Fällen aus unserer Stadt heraus. Kurt Bode wirkte als Richter an hunderten von Todesurteilen im besetzten Polen mit, unter anderem an den Todesurteilen gegen die überlebenden Verteidiger der Danziger Post, denen Günter Grass in der „Blechtrommel“ ein Denkmal gesetzt hat. Kurte Bode machte im Nachkriegs-Bremen Karriere und brachte es bis zum Vizepräsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Seine Taten blieben ungesühnt.

Bremer Gestapobeamte machten im demokratischen Bremen entweder weiter Dienst in der Polizei oder verzehrten in Ruhe ihre Pensionen. NS-Offiziere, Beamte des Auswärtigen Amtes, viele Professoren und Euthanasieärzte - alle hatten während der NS-Zeit „nur ihre Pflicht getan“, fühlten sich frei von Schuld, und nahmen wie selbstverständlich im neuen Staat ihre Plätze ein. Die Täter schützten sich gegenseitig. Neue Aktenfunde belegen, dass die Organisation Gehlen – Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes - bereits 1952 wusste, dass Adolf Eichmann unter falschem Namen in Argentinien lebte. In der Organisation Gehlen war ein hoher Anteil von ehemaligen Mitgliedern der SS, des SD und der Gestapo versammelt. Die ehemaligen Kumpane behielten die Information über Eichmann für sich.

Daher konnte viele meiner Generation damals dieses Deutschland nicht mit einem positiven Begriff von Heimat zu verbinden.

„Schleichend wie ein langsam wirkendes Gift“

Hinter der langen Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Verbrechen stand unausgesprochen oder auch ausdrücklich der Wunsch, die Erinnerung möge immun machen gegen ein Wiederaufleben von Rassismus und Antisemitismus. Müssen wir heute - 20 Jahre, nachdem diese Bilder entstanden - diese Hoffnung nicht relativieren?

Die breite Zustimmung, die ein Thilo Sarrazin mit seinen kruden Thesen über die Integrationsunfähigkeit des Islam gefunden hat, wecken Zweifel. Die schwedische Tageszeitung „Aftonbladet“ schrieb dazu:

„Die historische Schuld des Landes durch den Holocaust hat lange als effektive Sperre gegen eine große rechtsextreme Partei (in Deutschland) funktioniert. Sarrazin hat diese Tür nicht nur einen Spalt geöffnet. Er hat sie weit aufgerissen. Denn die gleiche Islamophobie und allgemeine Ablehnung von Einwanderung, die eine Bastion der Toleranz wie Holland dazu bewogen hat, die Partei des Rechtsextremisten Geert Wilders zur drittgrößten Partei zu machen, droht nun auch in Deutschland. ‚Die Republik beginnt sich zu verändern. Nicht so dramatisch, dass morgen die Demokratie in Gefahr stünde’, schreibt der Autor Erich Follath im Spiegel. ‚Aber schleichend wie ein langsam wirkendes Gift.’“ 

"Zunehmende Verrohung des Bürgertums"

Die jüngste Studie des Bielefelder Soziologen Heitmeyer zeigt, dass die begeisterte Aufnahme eines Sarrazin nicht eine vorübergehende Modeerscheinung ist. Islamfeindlichkeit hat nach dieser Studie genauso zugenommen wie Antisemitismus und die Feindschaft gegen sozial schlechter Gestellte. Besonders stark war der Anstieg bei den knapp 20 Prozent Wohlhabenden oder Reichen im Lande. Heitmeyer spricht von einer zunehmenden Verrohung des Bürgertums.

Die Schrecken der Nazizeit wurden verschwiegen

Rolf Zimmermann und viele meiner Generation waren durch ihre Familienbiographie verbunden mit den Schrecken der Nazizeit. Für uns war die Auseinandersetzung mit den Eltern und ihrer Rolle während der Nazizeit eine existenzielle Frage. Wir spürten, dass Schreckliches geschehen war, aber dieses „Erbe“ der jungen Bundesrepublik wurde verschwiegen. Ich z.B. habe während meiner gesamten Schulzeit nicht ein Wort über die Nazizeit im Unterricht gehört. Wir waren später durch die Aufdeckung der Gräuel zutiefst erschüttert. Um mit der ungeheuerlichen Geschichte und den Schuldvorwürfen fertig zu werden, haben sich viele junge Menschen aus meiner Generation selbst als Opfer imaginiert. Wir sahen angesichts der vielen alten Nazis in führenden Positionen die Bundesrepublik in den Weg auf einen neuen Faschismus. Und wir machten unserer Elterngeneration den Vorwurf, nicht nur ihre Mitschuld an Nationalsozialismus und Judenverfolgung nicht eingestehen zu wollen, sondern zusätzlich durch Schweigen den faschistoiden Entwicklungen Vorschub zu leisten.

Was geht uns Auschwitz noch an?

Dieser Generationenkonflikt als Triebkraft einer lang währenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist verschwunden. Inzwischen ist eine junge Generation herangewachsen, für die der Nationalsozialismus ganz und gar Geschichte ist. Andere Erinnerungen wie die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die Öffnung Europas nach Osten, haben sich vor die Erinnerung an den Holocaust geschoben. Die Einwanderer aus anderen Ländern bringen eigene Familiengeschichten mit. Die Zahl der jungen Menschen aus Einwandererfamilien beträgt inzwischen in manchen Stadtteilen bis zu 50%.

Die junge Generation fragt, was geht uns Auschwitz noch an? Laut einer Studie von Infratest/Dimap im Auftrag des Zeit-Magazins interessieren sich die Jugendlichen nach eigenem Bekunden in der Mehrheit für die Zeit des Nationalsozialismus. Aber sie lehnen die verordnete Gedenkkultur ab.

Im Zeit-Magazin werden dafür Beispiele zitiert: „In vielen Klassenzimmern kommt es zu einem Konflikt zwischen Lehrererwartung und Schülerunlust. Mancher Pädagoge greift in seiner Verzweiflung zu Schockmaßnahmen. So zitiert eine Studie des Departements für Psychologie an der Münchener Universität einen Geschichtslehrer, der mit seinen Klassen grundsätzlich nur im Winter in die KZ-Gedenkstätte Dachau fährt. Sonst käme nicht das richtige „feeling“ rüber.

Der Wunsch nach Harmonie im gemeinsamen Verurteilen der Nazi-Gräueltaten und im Bekenntnis zur Demokratie ist nur zu verständlich.

Fatalerweise aber erstickt dieser Wunsch in neun von zehn Fällen die wahrhaftige Auseinandersetzung. Eine andere Studie von sieben Münsteraner Schulen kommt zu dem traurigen Ergebnis: Der Geschichtsunterricht erreicht nach allem, was man empirisch weiß, vor allem eines: Er übt ein sozial erwünschtes Sprechen über die Epoche des Nationalsozialismus ein.“ (Christian Staas, Was geht mich das noch an? Zeit-Magazin Nr. 45/2010)

Ich halte die Erinnerung an die grauenhafte NS-Geschichte für weiterhin notwendig. Aber sie wird im Sinne einer Immunisierung gegen Rassismus, Antisemitismus, und als Antrieb für demokratisches Engagement nur wirksam werden, wenn sie mit eigenen Erfahrungen der Jugendlichen verbunden werden kann. Das können Gewalterfahrungen in Herkunftsländern sein, die Erfahrung von Diskriminierung und Rassismus in unserer Gesellschaft, aber auch selbständige Recherchen in Gedenkstätten und Archiven oder die eigene künstlerische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Vielleicht bieten die Bilder von Rolf Zimmermann und die kommenden Veranstaltungen „Bilder des Krieges“ auch einen Anstoß, unseren Umgang mit der deutschen Geschichte kritisch zu reflektieren.